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Geldpolitik: Bargeld spielt nur eine Neben­rolle

Trotz zunehmendem elektronischem Zahlungsverkehr zirkulieren nach wie vor Münzen und Banknoten. In der Geldpolitik spielen diese eine Nebenrolle. Die Zentralbank hat dennoch den Auftrag, die Bargeldversorgung sicherzustellen.

Geldpolitik: Bargeld spielt nur eine Neben­rolle

Bargeld begrenzt den geldpolitischen Spielraum: Sind die Zinsen negativ, wird Geld unter Matratzen oder in Tresorräume verschoben. (Bild: Keystone)

Geld existiert in physischer und virtueller Form.[1] Mit physischem Bargeld lassen sich wirtschaftliche Transaktionen begleichen: Greifbare Münzen und Banknoten wechseln die Hand. Aufgrund dieser simplen Transaktionsweise sowie des einfachen Besitznachweises haben sich solche physischen Geldformen zuerst entwickelt.[2] Bargeld weist jedoch auch Nachteile auf. Beispielsweise wenn Transaktionen nicht real an einem Ort zwischen anwesenden Personen stattfinden können, wie insbesondere beim Onlinehandel.

Aus diesem Grund wurden inzwischen virtuelle Geldformen entwickelt. Dabei werden immaterielle Informationen über wirtschaftliche Guthaben gespeichert und transferiert. Dank moderner Informationstechnologien, die heutzutage einen raschen und effizienten Austausch von virtuellen Guthaben zwischen Girokonten ermöglichen, hat der bargeldlose Zahlungsverkehr in den vergangenen Jahrzehnten enorm an Popularität gewonnen. Um sicherzustellen, dass dieselbe virtuelle Geldeinheit nicht mehrfach ausgegeben wird, müssen die entsprechenden Transaktionen selbstverständlich in einem gemeinsamen Register erfasst werden. Diese Aufgabe erfüllen hauptsächlich die Banken und andere Teile des Finanzsystems, wie etwa Clearinghäuser. Da die entsprechenden Register kostspielig sind, sensible Privatinformationen enthalten und zu einer gewissen Abhängigkeit vom Bankensystem führen, hat sich der bargeldlose Zahlungsverkehr bis anhin nicht vollständig durchsetzen können.

Zentralbankgeld und die Geldpolitik

Bei den physischen Noten und Münzen in Ihrem Portemonnaie handelt es sich um Zentralbankgeld, bei Ihren Einlagen auf einer Geschäftsbank hingegen nicht. Trotzdem gibt es auch beim Zentralbankgeld, das aufgrund der staatlichen Anerkennung sozusagen den Kern des monetären Systems bildet, virtuelle Formen. In der Tat genügt ein Blick auf die Passivseite der Bilanz der Schweizerischen Nationalbank (SNB), um festzustellen, dass unsere Zentralbank neben dem in Franken denominierten Bargeld auch Giralgeld über die Sichtguthaben der Geschäftsbanken in Umlauf bringt. Während die Münzen und Banknoten bekanntlich innerhalb der breiten Bevölkerung zirkulieren, ist das virtuelle Zentralbankgeld auf den erwähnten Girokonten den Geschäftsbanken vorbehalten.

Entgegen der populären Vorstellung, dass eine expansive Geldpolitik über die Notenpresse finanziert wird, spielen Notenpresse und Bargeldumlauf bei geldpolitischen Zielen, wie der Gewährleistung der Preisstabilität, keine grundlegende Rolle. Allerdings hat die SNB den gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung mit ausreichend Bargeld zu versorgen. Konkret bedeutet dies, dass die aktuelle Nachfrage der Haushalte und Unternehmen befriedigt wird.

Bargeld setzt Zinsuntergrenze

Bei geldpolitischen Massnahmen greift die SNB nicht auf Bargeld, sondern vielmehr auf die Girokonten der Geschäftsbanken bei der SNB zurück. Mithilfe ausgewählter Finanztransaktionen über diese Konten werden die kurzfristigen Zinsen nahe am festgelegten Leitzins gehalten. Die SNB hat den Leitzins im vergangenen März von 1 auf 1,5 Prozent erhöht. In der Folge gaben die Geschäftsbanken den Zinsanstieg mehr oder weniger umfassend an ihre Kunden weiter. Weil damit unter anderem die Kosten für Investitionen und Konsum steigen, stellt dieser Schritt eine geldpolitische Straffung dar. Ähnlich laufen auch die Devisenmarktinterventionen ab, um den Wechselkurs in eine gewünschte Richtung zu lenken. Auch hier werden virtuelle Franken en gros gegen Fremdwährung über die erwähnten Girokonten gehandelt.

Dem Bargeld kommt eine geldpolitische Nebenrolle zu, weil es die Zinsuntergrenze für die Zentralbanken festlegt.[3] Das haben die vergangenen Jahre exemplarisch gezeigt. Denn in einem Negativzinsumfeld sind Banknoten mit einem hohen Nennwert eine relativ attraktive Wertanlage. Unter Umständen war es in dieser Phase eben vorteilhafter, zinsloses Bargeld unter der Matratze oder im Tresor zu horten, als einen allfälligen Negativzins auf dem Bankkonto zu entrichten. Um zu verhindern, dass diese Bargeldhortung überhandnahm, konnte das Zinsniveau nur begrenzt ins Negative gesenkt werden. Im heutigen Umfeld mit positiven (und tendenziell steigenden) Zinsen ist die Anlage in Bargeld allerdings nicht mehr attraktiv. Diese Trendumkehr, weg von der Bargeldhaltung als Wertaufbewahrungsmittel, zeigt sich in der Schweiz seit Juni 2022.[4]

Bargeldversorgung: Eine traditionelle Aufgabe der Zentralbank

Ein kurzer Blick in die Währungsgeschichte zeigt, wie wichtig eine angemessene Geldversorgung für eine Wirtschaft ist. Tatsächlich wurde eine ganze Reihe von Zentralbanken im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch zu diesem Zweck gegründet. Diese sogenannten zentralen Notenbanken hatten damals die Aufgabe, Banknoten in standardisierter Form, unter staatlicher Aufsicht und in der vom Publikum gewünschten Menge anzubieten.[5] Dank dieser Massnahme sollte sich das damals neuartige Papiergeld besser verbreiten.

Diesbezüglich sind die historischen Erfahrungen der Schweiz besonders aufschlussreich. Hierzulande hielt man nämlich noch relativ lange am sogenannten Freibankensystem fest, bei dem Banknoten in einem mehr oder weniger freien Wettbewerb ausgegeben wurden (ähnlich wie das heute bei den verschiedenen Kryptowährungen der Fall ist).[6] Insbesondere beteiligten sich damals einige Diskontbanken, zahlreiche Regionalbanken und nicht zuletzt auch die Kantonalbanken am Papiergeldgeschäft. Diese Konkurrenzwirtschaft ist an sich nichts Schlechtes. Doch das Freibankensystem litt daran, dass uneinheitliche und qualitativ unterschiedliche Banknoten nebeneinander zirkulierten. Ohne standardisierte Banknoten konnten sie sich nur beschränkt zu einem allgemein akzeptierten Zahlungsmittel entwickeln. Das schweizerische Zahlungssystem galt im 19. Jahrhundert denn auch als eher rückständig.

Hinzu kam, dass die privat angebotene Banknotenmenge relativ starr blieb (siehe Abbildung). Dies war problematisch, weil das Zahlungsvolumen normalerweise innerhalb eines Jahres erheblich schwankt. Ein zu wenig flexibles Bargeldangebot barg also die Gefahr, dass in gewissen Monaten ein «Geldmangel» auftrat. Für das tägliche Wirtschaftsleben war dieser Mangel selbstverständlich äusserst lästig, weil er dazu führte, dass regelmässig die Banknoten fehlten, um Zahlungen zu begleichen.[7] Die Gründung der SNB im Jahr 1907 war unter anderem auch eine Reaktion darauf. Sie sollte schweizweit einheitliche Banknoten einführen und diese, wie es im ersten Nationalbankgesetz hiess, «nach den Bedürfnissen des Verkehrs» ausgeben. Der innerjährliche Schwankungsbereich des Banknotenangebots stieg in der Folge tatsächlich sprunghaft an. Der gesetzliche Auftrag der SNB zur Gewährleistung der Bargeldversorgung gilt bis heute.

Schwankungsbereich des Banknotenangebots vor und nach der Gründung der Schweizerischen Nationalbank (1885–1913)

Anmerkung: Der Schwankungsbereich wird gemessen anhand der Spannweite des monatlichen Geldangebots, d. h. der Differenz zwischen dem monatlichen Maximum und dem Minimum in Prozent des durchschnittlichen Notenumlaufs eines Jahres.
Datenquelle: Herger (2021) / Die Volkswirtschaft

  1. Siehe z.B. Herger (2016, Kap.3). []
  2. Siehe auch den Artikel von Urs Birchler in diesem Schwerpunkt. []
  3. Siehe z.B. Rogoff (2016, Teil II). []
  4. Siehe auch den Artikel von Schmidbauer, Himmel und Baur in diesem Schwerpunkt. []
  5. Siehe Herger (2016, Kap.2). []
  6. Siehe Baltensperger (2016, Teil I). []
  7. Siehe Herger (2022). []

Literaturverzeichnis
  • Baltensperger, Ernst (2016). Der Schweizer Franken – Eine Erfolgsgeschichte. Verlag Neue Zürcher Zeitung.
  • Herger, Nils (2016). Wie funktionieren Zentralbanken? Geld- und Währungspolitik verstehen. Springer Gabler.
  • Herger (2021). Regulated Free Banking in Switzerland (1881–1907), Swiss Journal of Economics and Statistics 157.
  • Herger, Nils (2022), Unregulated and Regulated Free Banking: Evidence from the Case of Switzerland (1826–1907). Explorations in Economic History, 101423.
  • Rogoff, Kenneth S. (2016). The Curse of Cash. Princeton University Press.

Bibliographie
  • Baltensperger, Ernst (2016). Der Schweizer Franken – Eine Erfolgsgeschichte. Verlag Neue Zürcher Zeitung.
  • Herger, Nils (2016). Wie funktionieren Zentralbanken? Geld- und Währungspolitik verstehen. Springer Gabler.
  • Herger (2021). Regulated Free Banking in Switzerland (1881–1907), Swiss Journal of Economics and Statistics 157.
  • Herger, Nils (2022), Unregulated and Regulated Free Banking: Evidence from the Case of Switzerland (1826–1907). Explorations in Economic History, 101423.
  • Rogoff, Kenneth S. (2016). The Curse of Cash. Princeton University Press.

Zitiervorschlag: Nils Herger (2023). Geldpolitik: Bargeld spielt nur eine Neben­rolle. Die Volkswirtschaft, 16. Mai.